Sonntag, 30. September 2012

Feuerzauber mit abgebrannten Meldungen

"Historischer Basar von Aleppo in Flammen - Kämpfe zerstören Syriens Kulturschätze" titelt Spiegel Online am Samstag, dem 29. September, und leitet damit dramatische Schilderungen ein, wie man sie eher von Romanautoren erwarten würde als von Journalisten (1).

Unter einem Foto von vergangener Woche suggeriert der irreführende Präsens:
"Nun verwüstet ein Feuer das historische Kleinod der Stadt, den weltberühmten Basar. Anwohner versuchen verzweifelt, die Flammen zu löschen. (...)

Grell flackern die Flammen, das Geräusch des lodernden Feuers erinnert an Feuerwerkskörper, im Vordergrund lassen sich die noch unversehrten Holzverschläge von Geschäften erahnen: Die Szene stammt aus einem Video, das Aktivisten der syrischen Opposition am Samstag im Internet veröffentlichten."
Im Kommentarbereich des dazu verlinkten Videos teilt das islamistische Prekariat (Spiegeldeutsch: "Aktivisten") dem staunenden Leser mit, dass dieses Video bereits von regierungsfreundlicheren Kreisen veröffentlicht wurde, allerdings in für die Berichterstattung aus Syrien unverzichtbarem Arabisch, und damit für die Romanciers des Spiegel in unerreichbare Ferne gerückt.

Eine kurze Suche mit den Schlagworten "Aleppo, Ancient Souk" liefert das folgende Video
vom 22. September und zeigt auch gleich auf, wer für diesen Brand verantwortlich zeichnet:



Ein Vergleich mit einer Fotografie aus der Veröffentlichung des Spiegel zeigt, es handelt sich um das selbe Ereignis, das uns mit frei erfundenen Behauptungen ausgeschmückt eine Woche verspätet aufgetischt wurde, um die aktuelle Situation in Aleppo verfälscht darzustellen:


Im weiteren Text wird dem verblüfften Leser ein Fußballspieler aus Abu Dhabi (2) als angeblicher Journalist aus Damaskus verkauft. Man könnte vermuten, die Mannschaft von Chefredakteur Georg Mascolo versuchte, arabische Texte mithilfe einer Online-Übersetzung zu enträtseln, und interpretierte die Schilderung eines Fußballspiels gegen die syrische Mannschaft (7) fehl:
„Die Armee will sich rächen, und vor allem die Zivilisten zahlen den Preis dafür“,
sagte der in Damaskus lebende Journalist Matar Ismail. Assads Truppen
exekutierten angeblich zahlreiche Menschen.
Einen Journalisten diesen Namens gibt es in Damaskus nicht. Allerdings gibt es auch keinen Rami Abdul Rahman in London (3). Der Mann heißt Osama Ali Suleiman, wie die geduldigen Leser den Textjongleuren der deutschen Presse zu erklären nicht müde werden.
"Auch die in London angesiedelte syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte und andere Aktivisten meldeten Feuer in dem überdachten Basar. Ein Video im Internet zeigte Rauch über Aleppo. Auch darin hieß es, Geschäfte stünden in Flammen. Der Leiter der Beobachtungsstelle, Rami Abdul Rahman, sagte, die Brandursache sei unklar."
Das Video in diesem Beitrag stammt vom 22. September und so stellt sich die Frage, ob die Redaktion des Spiegel Osama Ali Suleiman ebenso bewusst falsch zitiert, wie sie seinen Namen beharrlich falsch wiedergibt, oder ob sein in London ansässiger Einmannbetrieb, der sich großspurig als Syrian Observatory for Human Rights bezeichnet, über keinerlei Kontakte nach Syrien verfügt, und die Brände der vergangenen Woche für ein aktuelles Geschehen hält, da er sich ebenso wie die Redaktion des Spiegel aus dubiosen Online-Quellen informiert, ohne deren Aktualität zu prüfen.

So hält nicht nur die bemerkenswerte Ansammlung unbekannter Quellen, die sich hinter nichtssagenden Pseudonymen verbergen, die offenkundig Fußballspielern und anderen prominenten Figuren entlehnt sind, wie beispielsweise Ahmad al-Halabi, aber auch die Verquirlung verschiedener Ereignisse der letzten Wochen zu einer Nachahmung von Dantes Inferno keiner Überprüfung stand:
"Nach Einschätzung des Aktivisten Ahmad al-Halabi ist in der Nacht zum Samstag die Mehrheit der Geschäfte auf dem jahrhundertealten überdachten Basar niedergebrannt. Halabi erklärte, die syrischen Behörden hätten der Stadt die Wasserversorgung gekappt, so dass die Löscharbeiten schwierig seien."
Es darf bezweifelt werden, dass von den Rebellen bereits vor drei Wochen nach eigenen Angaben gezielt beschädigte Wasserleitungen noch am vergangenen Samstag außer Betrieb gewesen sind (4). Löscharbeiten an längst nicht mehr brennenden Feuern scheitern an Feuermangel, selbst wenn es an Wasser nicht fehlt. Von wochenlang anhaltendem Wassermangel ist nichts bekannt.

Bekannt ist hingegen die Ansar al-Islam (5), die der Al Kaida zugerechnet wird, und für diverse Anschläge im Irak verantwortlich zeichnet, wenn offenbar auch nicht der Redaktion des Spiegel, die - so muss man aus dem nächsten Absatz folgern - selber nicht liest, was sie schreibt:
"Ghuta und Umgebung sind eine Hochburg der oppositionellen Freien Syrischen Armee (FSA). Deren Kampfgruppe Tadschamo Ansar al-Islam hatte sich zu dem Bombenanschlag auf eine Kaserne im Zentrum von Damaskus am Mittwoch bekannt."
Wie anders ist sonst zu erklären, dass aus dem Hauptquartier des Generalstabs, von dem der Spiegel am Mittwoch berichtete (6), nun offenbar innerhalb weniger Tage eine Kaserne geworden ist.

Unabhängige Überprüfungen seien der Redaktion nicht möglich, so klagen dazu offenbar unfähige Journalisten seit längerem regelmäßig. Möglicherweise, weil ihnen Chefredakteure wie Georg Mascolo vorgeben, was sie zu tun haben und was nicht. Solange sie diese Überprüfungen unterlassen, holen wir dies gern nach und machen hier die Ergebnisse öffentlich.

Man kann es sich aber auch einfacher machen, und Fernsehberichten folgen, die in Europa nicht länger ausgestrahlt werden, seit die arabische Liga auf die Unterbindung ihrer Übertragung drängte, um Georg Mascolo vom Spiegel und anderen verhinderten Romanautoren zu ermöglichen, ihrem Publikum etwas vorzumachen, ohne an echten Berichten aus Syrien gemessen zu werden:



Syrisches Video zum Brand im historischen Markt. Das Datum wird in Sekunde 24 gut lesbar eingeblendet. Bis zur Stunde ist unklar, wer die Lawine absurder Berichte auslöste, die sich am Samstag über das Publikum ergoss. Was sie bezweckte, kann nur vermutet werden.

Dass die Berichte anderer Online-Medien nahezu gleichlautend ausfallen, und dem bei Spiegel Online veröffentlichten und hier zitierten Text somit auch nur exemplarisch entgegnet wird, ändert nichts an der untragbaren Qualität solcher Veröffentlichungen durch ein Blatt, dessen Chefredakteur nicht müde wird, solche Fehlleistungen seiner Redaktion als Qualitätsjournalismus zu verkaufen.

1) http://www.spiegel.de/politik/ausland/buergerkrieg-in-syrien-basar-von-aleppo-geht-in-flammen-auf-a-858756.html
2) http://en.wikipedia.org/wiki/Ismail_Matar
3) http://en.wikipedia.org/wiki/Syrian_Observatory_for_Human_Rights
4) http://www.nytimes.com/2012/09/09/world/middleeast/syria.html
5) http://en.wikipedia.org/wiki/Ansar_al-Islam
6) http://www.spiegel.de/politik/ausland/syrien-explosionen-im-zentrum-von-damaskus-a-857992.html
7) http://www.weltfussball.at/spieler_profil/ismail-matar/syrien-team/3/

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