Samstag, 16. Februar 2013

Abschreiber, Kopierer & Nationalsozialisten

Unter Langeweile, autoaggressiven Tendenzen und mittelschweren Wahnvorstellungen scheint die Redaktion des Tagesspiegel zu leiden, veröffentlichte sie doch jüngst nicht nur eine erstaunliche General-Leugnung (1) nahezu aller handfesten Skandale des letzten Jahrzehnts und unterstreicht damit den Eindruck, sie ist unter Führung Giovanni di Lorenzos jeder Wirklichkeit entrückt und in eine Art dekadenten Dämmerschlafs verfallen, der sie jede noch so alberne Ente veröffentlichen lässt, was nicht nur ein verheerendes Licht auf ihr journalistisches Ethos wirft, sondern auch auf erhebliche Mängel in der fachlichen Führung dieser seltsamen Polit-Postille schließen lässt:

"Deutschland hat kaum echte politische Skandale. Aber Hand aufs Herz: Eigentlich wollen wir mehr, oder?"
Mit diesem Geschwätz, das schon für sich genommen zu den einleitenden Wertungen zwingt, leitete Anna Sauerbrey einen Rundumschlag ein, in dem sie nicht nur falsche Angaben zum Dissertationsbetrug Anette Schavans oder zu den Gründen des Rücktritts Guttenbergs macht, der von ihrem Herausgeber nach wie vor in blinder Vasallentreue unterstützt wird, sondern gleichsam alle Skandale dieses Jahrhunderts leugnet und banalisiert, um in alberner Rhetorik mehr zu fordern:

"Eigentlich wollen wir mehr, oder? Seit Jahren werfen investigative Journalisten neiderfüllte Blicke über die deutsch-französische Grenze ..."
Der Frau kann geholfen werden. Zuvor ist allerdings die Frage in den Fokus zu rücken, wen die für diesen auch in der New York Times veröffentlichten Pamphlet verantwortliche Autorin mit der Bezeichnung "investigative Journalisten" meint. Sie und ihre Kollegen vom Tagesspiegel jedenfalls haben sich in der jüngeren Vergangenheit häufiger noch unter dem Niveau einer Schülerzeitung bewegt, und können angesichts ihrer regelmäßigen Fehlleistungen nicht mal glaubwürdig vertreten, auch nur Bekanntschaften mit tatsächlich investigativen Journalisten zu pflegen.

Das folgende Beispiel soll zeigen, wie investigative Recherchen aussehen und wie nicht: Am 3. Juli des vergangenen Jahres erschreckte Georg Mascolo, der schon unter Stefan Aust für frei erfundene Horror-Geschichten aus dem Iran verantwortlich zeichnete, die Leser des ehemaligen Nachrichten-Magazins Der Spiegel mit der Behauptung (2), der Iran habe einen Raketentest durchgeführt und über den Sender Press TV verkündet, nun auch Israel treffen zu können. Von 1.300 Kilometern Reichweite ballistischer Raketen des Typs Shahab 3 sei die Rede, gab sich der Spiegel kundig:

"Der Fernsehsender zitierte den Vizekommandeur der Revolutionsgarden, Hossein Salami, mit den Worten, dass dies eine Vergeltungsmaßnahme für die Feinde Irans sei, die einen Militärschlag als möglich bezeichneten. Israel fühlt sich durch das iranische Atomprogramm besonders bedroht und hält sich einen Militärschlag offen."
Wie der folgende Screenshot belegt, gefielen sich die Kollegen vom Tagesspiegel darin, diese Meldung sogleich wortwörtlich abzuschreiben, um es durch diesen investigativen Akt dem vom Herausgeber Giovanni di Lorenzo verehrten Ex-Minister Guttenberg und der von der Autorin im hier angegriffenen Text so ungeschickt wie vehement verteidigten Ex-Ministerin Schavan gleichzutun:



Ein bemerkenswertes Bild, das ich unter dem Titel: "Einlauf der vier Grazien" sicherte, um die investigativen Leistungen der Kollegen von Frau Sauerbrey würdigend darstellen zu können.

Die so einvernehmlich von Tagesspiegel, Handelsblatt, Spiegel und Wirtschaftsblatt wiedergekäute Meldung enthielt diverse Schönheitsfehler. Zum einen entsprang sie einer Agenturmeldung des Jahres 2008, war zum Zeitpunkt dieser Veröffentlichung also immerhin bereits ganze vier Jahre alt, zum anderen gab es 2012 zwar Manöver, anlässlich derer auch diverse Raketen getestet wurden, doch wurde dazu erstens von Press TV nichts mit Bezug auf Israel vermeldet, und zweitens schon gar nicht auf Basis einer zu diesem Zeitpunkt längst nicht mehr aktuellen Reichweite von 1.300 Kilometern, die tatsächlich mit inzwischen 2.000 Kilometern um einiges höher ausfällt.

Auch zu den Guttenbergs sind die Angaben des Tagesspiegel eher irreführend.

So verbreitete das Blatt, dessen Autorin ihren Neid auf "investigative Journalisten" offenbar nicht unter Kontrolle hat, unter dem Titel "Die Verpflichtung des Adels" am 11. Februar 2009 (3) das vom Selbstdarsteller Guttenberg ungeniert gestreute Ammenmärchen, sein Großonkel Karl Ludwig Freiherr von und zu Guttenberg sei während der NS-Ära im Widerstand gewesen.

Aus den wenigen überlieferten Dokumenten im Privatarchiv der Familie ergibt sich ein anderes Bild. Danach verfertigte der angebliche Widerstandskämpfer, der sich in den 20er Jahren durch Wahlkampfaktivitäten für Adolf Hitler einen Ruf als Nazi erworben hatte, Vernehmungsprotokolle für den Leiter der Gruppe E (Polizeiliche Spionageabwehr) des Amtes IV (Gegnererforschung und -bekämpfung) des Reichssicherheitshauptamts, SS-Standartenführer Walter Huppenkothen, der bei der Zerschlagung des Widerstands nach dem Attentat vom 20. Juli eine maßgebliche Rolle spielte:
"Das dritte Schriftstück ist ein Verhörprotokoll aus der Haft, das er im Jahre 1944 für Kommissar Walter Huppenkothen anfertigte." (Karl Ludwig Freiherr von und zu Guttenberg: 1902-1945; ein Lebensbild von Maria Theodora von dem Bottlenberg-Landsberg, S. 18)
Unter dem Titel "Die Guttenberg-Springer-Connection" (4) hielt ich dem kopiersüchtigen Freiherrn mit dem fantasievoll ausgeschmückten Lebenslauf und der mehr als obskuren Verwandtschaft - sein Großvater, ein gerichtsbekannter Antisemit, war im Widerstand gegen die Brandtsche Ostpolitik - am 26. Februar 2011 neben der Aufdeckung der Aktivitäten eines im Berliner Hauptstadtbüro der Bild beschäftigten Onkels, der systematisch eine journalistische Seilschaft um sich herum aufgebaut hatte, die Verstrickungen seiner Familie in die Organisation des Nationalsozialismus - Georg Enoch und Karl Ludwig Freiherren von und zu Guttenberg waren Mitglieder der u. a. für die Verbreitung gegen die Weimarer Republik gerichteter Propaganda verantwortliche Organisation Gäa (5) - vor:
"Karl-Theodor zu Guttenberg steht im Rampenlicht. Andere Mitglieder der Familie Guttenberg stehen eher hinter der Bühne und bedienen die Scheinwerfer, um ihn ins rechte Licht zu rücken.

Zu den weniger bekannten Verwandten gehört Karl Ludwig Baron von und zu Guttenberg, geboren am 27. Oktober 1968 als Sohn von Johann Berthold Baron von und zu Guttenberg, geboren am 23. September 1937 als Cousin ersten Grades des Großvaters des amtierenden Verteidigungsministers Karl-Theodor.

Im Auszug aus der Genealogie derer zu Guttenberg bei Wikipedia taucht der Mann unverständlicherweise nicht auf, obwohl es sich ohne jeden Zweifel um den Großonkel unseres von der Bildzeitung schon beinahe zum zukünftigen Bundeskanzler hochgeschriebenen Kulmbacher Kreisrats handelt.

Interessant ist der berufliche Werdegang dieses Großonkels: Axel Springer AG, BILD Bundesredaktion Hamburg; Bauer People Magazine KG InTouch, Hamburg; Plus 3 AG, Hamburg; Dubbels & Guttenberg GmbH, Hamburg; Initiative Media, Hamburg; Burda Verlag (Die Bunte), München; Team/BBDO, Düsseldorf; Heye & Partner, Ottobrunn.

Derzeit ist er stellvertretender Chef vom Dienst in der Bundesredaktion der Bild. Nebenberuflich führt er als geschäftsführender Gesellschafter diverse PR- und Werbeagenturen, und beschäftigt sich mit so interessanten Dingen wie Viral Marketing, Social Media Optimizing, Reputation Management, Engagement Kommunikation, Web 2.0 Marketing, Buzz-Marketing, und dergleichen.

Privat interessieren ihn Brainpools, Oldtimer, Antiquitäten, Jazz und Familie, sagt er. Sein Großonkel Georg-Enoch zu Guttenberg ist der Urgroßvater seines Großneffen Karl-Theodor, den er nun zum Kanzler hochschreiben möchte, und versuchte 1920 die Weimarer Republik durch den sogenannten Kapp-Putsch zu beseitigen. Die Motivation für diesen Putsch bezog er aus den Schriften seines Großvaters Karl Ludwig zu Guttenberg, der offenbar durch eine Art virales social Marketing und Reputation Management zum Widerständler hochstilisiert wird. 1919 schuf Georg Enoch zu Guttenberg u. a. mit der Niederschlagung der Münchner Räterepublik die Voraussetzungen für den Aufstieg Adolf Hitlers."
Am 1. März trat der Minister zurück, nachdem ich auf öffentliche Drohungen seines fruchtlos dementierenden Onkels nicht reagierte. Der adlige Erbe einer hochbelasteten Familie wurde umgehend durch einen ebenso adligen Spross einer ebenfalls belasteten* Familie ersetzt, als hätten die Vertrauten Hitlers einen unantastbaren Erbanspruch auf die Verfügung über deutsche Truppen.

So besteht der tatsächliche Skandal vor allem darin, dass sich Journalisten willig vor den Karren eines Geld- und Erbadels spannen lassen, dessen politische Dominanz erheblichen Anteil daran hatte, drei aufeinanderfolgende deutsche Staaten zu ruinieren, und aktiv an der propagandistischen Vernebelung des ungebrochenen Einflusses eben dieser Kreise beteiligen, deren jeweilige Interessenlage die öffentliche Meinung in der Bundesrepublik nach Belieben dominiert.

So erklärt sich die simple wie dauerhafte Orientierung der deutschen Außenpolitik: Der Feind steht im Osten. Mit seiner Denunziation steht und fällt die Staatsräson. Getreu dem wilhelminischen Paradigma: Der slawische Untermensch ist der europäischen Herrschaftsordnung suspekt.

Im Schatten des Antikommunismus vorübergehend dem Anschein nach aus der öffentlichen Wahrnehmung entschwunden feiert es fröhliche Urständ, wann immer unter dem Banner des Kampfes um Freiheit der Despot des Tages zu küren ist. Die Presse leistet ihren Anteil, informiert uns über die Anmaßung slawischer Richter tatsächlich ihres Amtes zu walten, und beteiligt uns am Martyrium handverlesener Angeklagter, während sie die Verfolgung von Hexen und Apostaten in Saudi-Arabien ebenso ignoriert wie die zu Hunderten in der Türkei inhaftierten Kritiker Erdoğans.

Für "investigative Journalisten" gäbe es also sicher genug zu tun. Unter einem Herausgeber wie Giovanni di Lorenzo aber, der als Chefredakteur der Zeit den wohl extremsten Rechtsruck zu verantworten hat, den jemals eine deutsche Zeitung durchlaufen hat, wird es dafür wohl wenig Gelegenheiten geben. Da muss man dann eben für billige Dissertationsbetrüger noch billigere Rechtfertigungen und Beschönigungen verfassen oder die Legende vom Widerstand im Reichssicherheitshauptamt aufwärmen, um es sich mit dem Herausgeber nicht zu verscherzen.

* Ulrich de Maizière genoss das Vertrauen des Führers, was ihn offenbar für Führungsfragen der Landesverteidigung im Führungsstab der Bundeswehr qualifizierte, wo er maßgeblich an der Entwicklung des Führungsprinzips der Bundeswehr beteiligt war, d. h. dafür verantwortlich zeichnet, dass die Truppe widerspruchslos Befehle befolgt, zu deren Erteilung der Verteidigungsminister nach den Bestimmungen des Grundgesetzes auch mit Zustimmung des Parlaments nicht befugt ist.


1) Tagesspiegel: Anna Sauerbrey über Treten und Zurücktreten
2) Spiegel: Machtdemonstration
3) Tagesspiegel: Adelspflichten
4) Die Guttenberg-Springer-Connection (gespiegelt incl. Guttenbergs Antwort)
5) Wikipedia: Organisation Gäa

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