Mittwoch, 8. August 2012

Gespenster-Milizen und Medien-Gangster

Einen deutschen Terroristen betrauert die Sueddeutsche Zeitung (1), der im März des Vorjahres die Bequemlichkeit eines sicheren Lebens in Greifswald aufgab, um die Sicherheit anderer in Aleppo im fernen Syrien gemeinsam mit seinen Freunden bewaffnet anzugreifen, die sich vor dem Erscheinen von ihm und seinesgleichen von den blutigen Ereignissen in Homs und andernorts sicher wähnten.



"Sein Mörder soll den gefürchteten Schabiha-Milizen angehören, Assads Männern fürs Grobe."

Die Rede ist von Husamettin Armnazi, einem syrischen Laboranten, der in Deutschland studierte, bevor er sich den Djihadisten Syriens anschloss, um Tod und Verderben über Polizisten und Wehrdienstleistende, Verwaltungsbeamte und Unbeteiligte zu bringen, wie es von wahabitischen Sheiks wie Muhammad Arifi gefordert und finanziert wird (2), der in Syrien einen Gottesstaat nach afghanischem Muster gründen möchte, und sich am friedlichen Miteinander der Konfessionen Syriens aber auch Tansanias stört, wo es seinen Worten zufolge darum geht, die rassisch minderwertigen Schwarzen der arabischen Minderheit zu unterwerfen, und den sunnitischen Islam nach wahabitischer Lesart gegen die Mehrheit aus Christen und Heiden durchzusetzen. Schweizer Behörden warnen Touristen und verweisen auf nicht näher bezeichnete Kriminalität im Lande, betonen aber, daß es gefährlich sei, sich in der Nähe von Demonstrationen aufzuhalten (3).

Was in Tansania als Rassismus und salafistischer Extremismus gilt, und den Schweizern Anlass zu Warnungen gibt, scheint in Syrien mit der deutschen Staatsräson verknüpft, vor allem aber deutsche  Journalisten zu motivieren, einen schier verzweifelten Kampf gegen eine Geister-Armee zu führen, in dem Gespenster als organsierte Milizionäre mit Konfession eine besondere Rolle spielen, die auf wundersame Weise - wie ein Geist aus der Flasche - aus einem Wort entsprangen, das sich der Übersetzung durch handelsübliche Software entzieht und so zu einer Bedeutung gelangte, die den Leser im deutschen Blätterwald tief verstört, dem seit geraumer Zeit von Bild und Welt, der Sueddeutschen, Spiegel und Zeit eine Neuauflage des Märchens vom Räuber Hotzenplotz erzählt wird, wobei die alawitische Minderheit, der Assads Familie angehört, die Hauptrolle spielt, und die orientalische Vokabel Shabiha, die "Bandit" bedeutet, anstelle des Hotzenplotz getreten ist.

Dem Deutschen Leser, der gewohnheitsmäßig Diktaturen mit Konzentrationslagern assoziiert, in denen peitschenschwingende Lagerkommandanten die Rolle des Diktatoren einnehmen, mag die Vorstellung einer kleinen Minderheit, die sich nur mit brutaler Gewalt im Lande behaupten kann, um so überzeugender erscheinen je weniger er über die Verhältnisse weiß, und dafür wollen - so scheint es - eifrige Journalisten sorgen, die beharrlich verschweigen, daß in Syriens Armee, Polizei und Baath-Partei schon aus rein statistischen Gründen Sunniten die Mehrheit stellen und nicht Alawiten.

So muß die mörderische Gewalt einer Geister-Miliz zur Last gelegt werden, den Schabiha, die durch fehlinterpretierte Aussagen von Zeugen zum Leben erweckt wurden, die von Banditen sprachen, ohne zu ahnen, was für Märchen Journalisten aus einem einzigen Wort zu schöpfen imstande sind.

Dass es zumeist Sunniten sind, die als Schabiha bezeichnet werden, Gegner wie Anhänger des Regimes, Zivilisten und Journalisten, Bürgerwehren, die in den Städten Syriens Seite an Seite mit Polizisten bewaffnete Ortsfremde wie den Helden der Sueddeutschen abwehren, die von Massaker zu Massaker eilen, um einen heiligen Krieg zu führen, wo niemand ihn haben will, hindert die Schreibtischtäter der deutschen Presse nicht, aus den Rechtfertigungen der Täter eine groteske Imitation von Berichtserstattung zu machen, der nahezu jeder faktische Hintergrund fehlt.

 "Wir waren 38 Leute in einem acht Quadratmeter großem Zimmer, und manche Nächte
 habe ich auf einem Bein verbracht, weil es gab unter uns keinen Platz für den anderen."

Wie schon andere Aktivisten, wusste auch Husamettin Armnazi mit haarsträubenden Erzählungen zu glänzen, die das Fernsehteam des ARD-Weltspiegel übernahm, ohne zu hinterfragen, wie 38 Personen mit 20-24 Kubikmetern Atemluft auch nur zwei Stunden überlebt haben sollen, verbrauchen doch 38 Personen pro Stunde etwa 15 Kubikmeter Atemluft.

"Husam A. wollte angeblich gerade die Leiche eines Kameraden von einer Kreuzung
 am Stadtrand von Aleppo ziehen, als ihn ein Scharfschütze ins Visier nahm."

 Als Scharfschütze posiert der Getötete immer noch auf der Seite seiner Facebook-Gruppe. Sein "Mörder", wie ihn die Sueddeutsche nennt, gehörte zu den von ihm überfallenen Anwohnern Aleppos. Ein Sunnit, aus dessen Familie mehrere Mitglieder getötet wurden, um Rache zu nehmen.

Sie nennen sie Schabiha, so wie den ermordeten Fernsehmoderator, den sie aus seiner Wohnung entführten und umbrachten, um mit diesem terroristischen Akt der Bevölkerung anzudrohen, dasselbe Schicksal zu erleiden, wenn sie sich den Salafisten nicht anschliesst.

1. http://www.sueddeutsche.de/politik/medizinstudent-maertyrer-aus-greifswald-1.1432818
2. http://www.youtube.com/watch?v=PQN69OxQo9I
3. http://www.eda.admin.ch/eda/de/home/reps/afri/vtza/rhtan.html

Montag, 6. August 2012

Nur ein Fernsehmoderator

Den Tod eines syrischen Fernsehmoderators schildert die Berliner Morgenpost (1) unter Auslassung seines Namens, als handelte es sich nicht um ein menschliches Individuum sondern um eine vernachlässigbare Größe, die einem Vorgang zum Opfer fiel und nicht einem kaltblütigen Mord, der von den Tätern nach eigenen Angaben aus der nüchternen Überlegung heraus begangen wurde, damit anderen drohen zu können, wie es einer dem Duden entnommenen Definition der Vokabel Terror entspricht. Zu den Methoden des Terrors im Sinne der Definition gehört das Prinzip, exemplarische Gewalt auszuüben, um Angst zu verbreiten, die das Verhalten Unbeteiligter, aber auch Beteiligter beeinflussen soll. Terror ist als gezielter Einsatz öffentlicher Gewalt gegen Einzelne zum Zweck des Drohens gegen viele zu begreifen.

Unter der Überschrift "Syrischer Fernsehsprecher offenbar hingerichtet" versteigt sich der Autor dazu, seine plakative Behauptung mit einer passenden Ausschmückung zu erklären. Dem Ermordeten, so behauptet er wie aus dem Stegreif, sei vor seiner Tötung der Prozess gemacht worden, und fügt hinzu, dies habe eine sunnitische Extremistengruppe so mitgeteilt. Dass es sich bei dieser Gruppe um eine Brigade der in Syrien tätigen FSA handelt, verschweigt er ebenso wie den Namen des Ermordeten und die Tatsache, daß es sich bei der Entführung und Tötung des wehrlosen Mannes um eben jenen Prozess handelt, den das Bekennerschreiben erwähnt.



Muhammed Said, der am 19. Juli in seiner Wohnung überfallen und entführt wurde, war ein beliebter Kommentator des syrischen Fernsehens, seine Ermordung eine exemplarische Maßnahme, die im dazu veröffentlichten Bekennerschreiben jedem Syrer angedroht wird, der sich nicht dem Aufstand anschliesst, wie die auch für den Anschlag auf den Fernsehsender Al-Ikhbariya vom 27. Juni 2012, bei dem vor der Sprengung des Gebäudes sieben Mitarbeiter ermordet wurden, verantwortliche Fronteinheit einer Abteilung Medien des kooperierenden Djihadisten-Netzwerks Al Sham mitteilte, die laut einer Meldung der Nachrichtenagentur Reuters zum Al Sahaba Battalion der FSA gehört.

Aber nicht nur die unverhohlene Drohung, die mit diesem einmaligen Dokument des Terrorismus als Methode und Mittel zum Zweck einhergeht, und die Offenkundigkeit der Tatsache, dass sich eine benannte Brigade der FSA für den Mord verantwortlich erklärt, die sich als Kampftruppe des Netzwerks Sham bezeichnet und nicht etwa, wie die Berliner  Morgenpost behauptet, eine sunnitische Splittergruppe, sondern vor allem wohl ein beinahe unbedeutend erscheinendes Detail der Original-Veröffentlichung des Bekennerschreibens dürfte den Grund darstellen, aus dem über diesen Vorfall nur beiläufig berichtet wird. Es bezeichnet Muhammad Said als Medien-Schabiha.

Schabiha, so erklärte uns eine Flut von Presseberichten, seien alawitische Milizen, die bei Massakern im Gefolge der syrischen Streitkräfte in Erscheinung träten, und deren Motivation aus der Tatsache abgeleitet wird, dass die Familie Bashar Al-Assads der Minderheit der Alawiten angehört. Erst vor wenigen Tagen wurden Videos veröffentlicht, zu denen sogenannte Aktivisten angaben, sie zeigten die Hinrichtung in Aleppo stadtbekannter Anführer eines Clans sogenannter Schabiha, der den Namen Berri trage (3). Der Spiegel übernahm unkritisch einen Bericht dieser Aktivisten, demzufolge es sich um Drogenhändler, Mörder und Vergewaltiger handele (2). Dass der Berri Clan sunnitisch ist und nicht alawitisch berichtet der Spiegel nicht (4).

Damit verliert ein erheblicher Teil der Berichterstattung des letzten Jahres seine Grundlage, und Zeugenaussagen zu Massakern wie in Al-Houla verlieren ihre vermeintliche Bedeutung, wird doch das arabische Wort Schabiha von Aktivisten des syrischen Bürgerkriegs offensichtlich in ähnlicher Weise wie die eingedeutschte Vokabel Gangster als unspezifisches Schimpfwort verwendet.

Schabiha-Milizen spielten 1982 eine Rolle, als Rifaat Al-Assad, der als Schlächter von Hama bekannt wurde, alawitische Clans aus dem Nordwesten Syriens, der Heimatregion der aus Latakia stammenden Al-Assads, bewaffnen liess, um sie im Gefolge der Bombardierungen Hamas durch die ihm unterstehende syrische Armee nach einem Massenmord der Moslem-Bruderschaft an syrischen Kadetten für einen Rachefeldzug einzusetzen. Rifaat Al-Assad mußte nach seinem Putschversuch von 1983 gegen seinen Bruder Hafiz Al-Assad das Land verlassen, seine Anhänger wurden von dessen Nachfolger Bashar Al-Assad nach dessen Amtsübernahme vor Gericht gestellt.

Die in den 80ern bewaffneten Clans, denen man eine führende Rolle im syrischen Drogenanbau und grenzüberschreitendem Schmuggel nachsagte, gerieten in das Visier amerikanischer Drogenbehörden. Mit der von Hafiz Al-Assad nach dem Ende der Sovietunion in den 90ern vollzogenen Annäherung an den Westen, die dazu führte, dass die USA Syrien 1997 von der „Schwarzen Liste" der Drogen-Staaten nahmen, verloren sie an Bedeutung.

In den Berichten der Londoner Beobachtungsstelle, deren Betreiber Osama Ali Suleiman unter dem Pseudonym Rami Abdulrahman die gesamte Presse mit Nachrichten versorgt, die von Freunden Suleimans stammen sollen, spielen Schabiha-Milizen weiterhin eine Rolle, entspricht ihre Existenz doch dem Kenntnisstand eines Mannes, der Syrien schon vor mehr als zehn Jahren verliess (5).

1. http://www.morgenpost.de/politik/ausland/article108485543/Regierungstruppen-bombardieren-Millionenstadt-Aleppo.html
2. http://www.spiegel.de/politik/ausland/buergerkrieg-in-syrien-augenzeugenbericht-aus-aleppo-a-847607.html
3. http://www.spiegel.de/politik/ausland/aleppo-syrische-rebellen-richten-offenbar-assad-getreue-hin-a-847677.html
4. http://www.guardian.co.uk/world/2012/aug/03/syria-rebels-aleppo
5. http://www.syrianews.cc/sohr-syrian-observatory-for-human-rights-a-cheap-imitation/